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Lesenswertes

Die Friedhöfe der ungetauften Kinder Irlands

Persönliche Parallelen verbinden mich mit den totgeborenen, ungetauften Kinder Irlands. Auch mein totgeborener Bruder durfte nicht mit den Sakramenten der Kirche versehen werden und hat somit meine persönliche Wahrnehmung und Erfahrung in meiner Familie beeinflusst.

Diese schriftliche Darstellung war ein Teil meiner systemischen Ausbildung und entbehrt jeden Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beruht auf rein persönlicher Erfahrung.

Cillíní, die Grabfelder der ungetauften Kinder Achills

 

leben konntest du nicht

mein kind ohne namen

es blieb ein stein nur am meer

 

Eine Biographie von Heinrich Böll motivierte mich auf dieses Thema einzugehen. In dieser Biographie hörte ich erstmals von seinem Werk „Irisches Tagebuch“ in dem er die „ungetauften Kinder“ erwähnt.

Anbei dieser Ausschnitt aus diesem Werk der sich auf dieses Thema bezieht:

 

René Böll, sein Sohn, hat sich der „Cillinís“ angenommen. Kinder, die gestorben waren, bevor sie getauft wurden, außerhalb der Friedhöfe auf ungeweihtem Grund, anonym beerdigt.

 

Solche Orte blieben unbeackert, ungenutzt und ausgegrenzt.

Cillin, wie die ungesegneten Grabstellen im Irischen heißen, über die nie jemand sprach und von dem doch jeder im Dorf wusste. Hier liegen die körperlichen Reste derer in der Erde, (namenlose ungetaufte Kinder, Fremde, Selbstmörder) die keine Eintrittserlaubnis hatten für die offizielle letzte Ruhestätte auf dem Friedhof der Kirche. Ihnen fehlte das …..              

                                                            …………….Sakrament der katholisch-kirchlichen Taufe

Hintergrund dieser Praxis ist ein auf Augustinus (354-430) zurückgehendes theologisches Konstrukt, so logisch wie unbarmherzig. Danach sind alle Ungetauften mit der Erbsünde behaftet und verdammt. Da totgeborene Kinder aber unverschuldet sündig sind, kommen sie nicht in die Hölle, sondern in ein Zwischenreich namens Limbus (lateinisch = Rand, Grenze), in dem ihnen lediglich die Gottesschau vorenthalten wird. Infolge dieser Lehre, die zwar kein Dogma ist, waren die Ungetauften von der kirchlichen Fürsorge ausgeschlossen. Den Müttern wurde auferlegt, die Kinder zu vergessen…………

Eigene Erfahrung zum Thema

Für mich persönlich geht von diesem Thema eine Faszination aus.

Diese Anziehungskraft zu einem Thema, kann ein Hinweis dafür sein, dass noch etwas fehlt oder noch etwas nicht stattgefunden hat, was hätte sein sollten.

Wenn etwas anzieht, setzt es eine Bewegung voraus und wenn es nur beim „Angezogen“bleibt, dann hat es nie ein Ankommen oder ein Ausgleich gegeben. (Siehe auch Bewegung Bert H.)

Ursprung dieser „Bewegung“ von mir, sind Wahrscheinlich Dynamiken in meiner Familie, bei denen dieser Ausgleich verwehrt wurde.

Genau diese Ereignisse, haben meine „Ordnung auf Zugehörigkeit“ gestört.

Das Empfinden, nicht dazu zu gehören oder nicht gut genug zu sein, kann aus systemischer Sicht auf zwei Ereignisse zurückgeführt werden.

Erstens:​Mit den Kinderseelen die vor mir geboren werden sollten und nicht wie ich im Leben bleiben und aufwachsen durften.

Zweitens:​ Die Todgeburt meines Bruders. Zu diesem Zeitpunkt war ich 5 Jahre alt. Später erfuhr ich, dass mein Vater ihn nachts heimlich auf dem Friedhof vergraben musste.

 

>Die Frühverstorbenen hinterlassen Spuren, die oft tiefer sind, als die Spuren derer, die im Leben  großes geleistet haben. Ganz stille tiefe Spuren. <

Als Kind mit einem Grundgefühl von „Alleinsein“ und „Angst vor Ablehnung“aufzuwachsen, fand ich mich oft in Situationen wieder, in denen ich mich ausgeschlossen, getrennt und schuldig fühlte.

Die Tatsache, dass ich mich anders fühlte, stand im Widerspruch zu meiner Angst vor Ablehnung, die dazu führte, dass ich mich in verschiedenen Situationen, um jeden Preis anpassen wollte. Das hat mich in meiner Entwicklung maßgeblich beeinflusst:

lieber in einer Gruppe aufhalten (Gruppentierchen) als etwas alleine unternehmen

                 lieber sich anpassen als mit mir in Verbindung sein

                       lieber den Mund halten als meine Meinung vertreten​​​​​​

                 lieber vorlaut sein als Gefühle mitzuteilen

                lieber sühnen als mich schuldig fühlen

Die oft wiederholte Aussage meiner Mutter: „Brigitte ist wie ein Junge…“ festigte und rundete das Ganze noch einmal ab. Ersatz für einen Jungen zu sein, vielleicht damit meine Mutter den Verlust nicht so schwernehmen musste, war sicher auch meine unbewusste Entscheidung:

lieber Hemden als Kleider tragen

lieber mit Jungen spielen als mit Mädchen

lieber ein guter Kumpel sein als meine Weiblichkeit zu leben

lieber Motorrad fahren als entspannen

                                                                               Ja, so war ich gestrickt …….

                                                                                                                           …nur mein Muster (Verhaltensmuster) hatte einen Fehler…

                                                                    …ich habe mich verstrickt- meine Lebensweise in einer „Verstrickung“

Wenn man nur 7 Generationen zurückrechnet, stehen hinter mir 2, (mein Vater und meine Mutter), dahinter 4 Elternpaare

(Väter und Mütter), dahinter……………

2 + 4 + 8 + 16 + 32 + 64 + 128 = 254 Menschen

254 Menschen die als Wurzel auf mich eine Wirkung haben!!

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Rene Böll

Nach dem er von der Existenz der Friedhöfe erfahren hat, übten sie eine nahezu magische Anziehung auf ihn aus, eine Faszination, die bis heute, Jahrzehnte später, nicht in ihrer Ausstrahlungskraft gemindert ist.

Die Beschäftigung mit den „Cillíní“ mündete in einem künstlerischen Projekt, mit dem René Böll dazu beitragen will, die vergessenen Kinder Irlands in die Erinnerung zurück zu holen und ihnen erstmals einen Teil ihrer verweigerten gesellschaftlich-kulturellen Identität zu schenken.

 

 

 

 

 

 

 

Alle Bilder: © René Böll

Es gibt heute noch über 1200 bekannte Cillíní in Irland und mutmaßlich noch einmal so viele in Vergessenheit geratene Orte.

„unter einem grauen stein liegst du, kleiner mensch achtlos der wanderer“

 

Heute bemühen sich Menschen die sich mit ihrer eigenen Geschichte befassen, darum den ausgegrenzten Seelen einen Teil ihrer Würde zurück zu geben. Sie setzen sich dafür ein, dass die Knochen der anonym Begrabenen auf Friedhöfe umgebettet werden, oder dass die Cillini im Nachhinein gesegnet und von der Nachwelt nicht in Vergessenheit geraten werden.

So stürmten z.B. Gläubige 2009„Island of the Dead in der Bucht von Donegal und errichteten eins der charakteristischen irischen Kreuze und erreichten so die kirchliche Einsegnung.

Als wenig später der große Belfaster Friedhof der Ungetauften planiert werden sollte, gab es einen Aufstand der Angehörigen. Ein Bischof drückte ihnen sein Mitgefühl aus, und ein Theologe verwies zum Trost auf die vom II. Vatikanischen Konzil approbierte Lehrmeinung, wonach Hoffnung bestehe, dass die Barmherzigkeit Gottes auch den ungetauften Kindern zugutekomme – sicher sei das allerdings nicht, fügte er vorsorglich hinzu.

In Erinnerung an die Babys und alle Toten und Vergrabenen hier. Mögen sie alle in Frieden ruhen. Die Messe wurde gefeiert hier von Patres P. Gilligan am 1. November 1997

Sternenkinder Gesetzesänderung

Ein Todesfall in der Familie ist meist eine große emotionale Belastung. Stirbt ein Kind ist dieser Verlust in besonderer Weise tragisch. Kinder, die bereits vor oder kurz nach der Geburt versterben, werden als Sternenkinder (auch: Schmetterlingskinder oder Stillgeborene) bezeichnet. Bis Mai 2013 wurden Sternenkinder mit einem Körpergewicht unter 500g nicht als Personen registriert. Juristisch gesehen gab es diese Kinder gar nicht. Aber ab diesem Zeitpunkt dürfen diese Kinder auf Wunsch der Eltern beim Standesamt registriert werden.

Bestattung von Sternenkindern

Kinder, die mit einem Körpergewicht über 500g tot zur Welt kommen, müssen bestattet werden. Stillgeborene mit einem Gewicht unter 500g werden laut Personenstandsgesetz als Fehlgeburt bezeichnet und müssen nicht beurkundet werden und in der Regel kümmert sich die Klinik um die Bestattung von Fehlgeburten. Jährlich oder halbjährlich werden die Urnen dann in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Die Eltern müssen diese Beisetzung meist nicht bezahlen.

Auf einigen Friedhöfen gibt es spezielle Gemeinschaftsgrabanlagen für Sternenkinder. Hier wird die Asche der Stillgeborenen dann anonym bestattet. Im Rahmen einer Gedenkfeier, die für die Angehörigen einmal oder mehrmals im Jahr organisiert wird, können sich die Hinterbliebenen von den verstorbenen Kindern verabschieden.

Auch auf Wunsch der Eltern können Stillgeborene unabhängig von ihrem Körpergewicht in einem Einzel- bzw. Kindergrab bestattet oder in ein Familiengrab beigesetzt werden. Die Kosten tragen dann im Normalfall die Eltern.

etwas besseres als den tod

fand ich nicht

bei meinem besuch auf dieser erde

 

Synonyme von toten, ungetauften Kindern

„Still geboren, stillborn babies“

„Sternenkinder“

„Engel“

„Schmetterlingskinder“

„Ein verlorener Stern“

Mythen und Wortschatz in Bezug auf das Thema

„Stille Geburt“​​​ –  Gebären eines toten Kindes.

„Verwaiste Mutter“ ​​- Mutter eines totgeborenen Kindes.​

„Glücklose Schwangerschaft“​ –  Schwangerschaft endet mit einer Totgeburt.

„Mose-Körbchen“- Ersatz als Sarg oder Sargeinlage

„Traufkinder“ ​-  Das begraben eines toten Kinderkörpers unter der Dachtraufe von Kirchen oder Kapellen.

Cillini“- Die Grabfelder der ungetauften Kinder Achills. (Irland)

„Kinderbegräbnisstätte“​ –  Nicht geweihter Ort der für die Bestattung von nicht getauften Kindern verwendet wird. Zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.

„Limbus Puerorum​ –  Der Nicht-Ort zwischen Himmel und Hölle wo sich die ungetauften Kinder aufhalten sollen, auf ewig getrennt von den Eltern-bleibend, bestrafend durch Ausschluss.

„Limbo Babies​- Babys die auf einem Cillini bestattet sind

Chelelöchli“- ​In Willisau. Kindergrabstätte in die Kirchenmauer an der Südseite zwischen kirchlichem und weltlichem Terrain. Auf Plänen nicht eingezeichnet. „ungfreuti Kindli“

„Nottaufe“​ – Säuglinge die kurz nach der Geburt sterben. “Im entsprechenden Notfall darf jeder Mensch taufen – nach christlichen Gepflogenheiten und mit wahren Absichten.

„Intrauterine Taufspritzen“​ – Um bei einer absehbaren schweren Geburt, die Taufe bereits im Mutterleib vorzunehmen. (früher)

„Begierdetaufe“ –  ​Die Mutter wurde angeleitet für das Kind die Taufe aus ganzem Herzen zu wünschen.

„Irrlichter“​- Seelen von ungetauften Kindern die die Menschen in der Nacht als Lichterscheinung absichtlich ins Moor locken.

Welche Ordnungen können gestört sein in Bezug auf die ungetauften Kinder?

Das Recht auf Zugehörigkeit: Wenn die Kirche sagt: Es hat ja noch nicht gelebt!

Verweigerte Zugehörigkeit. Wenn z.B. der Tod eines Kindes verleugnet wird.

Familiengeheimnisse, welches gehütet wird, es aber zu krank machenden Dynamiken kommt.

Dass die, die früher im System waren Vorrang haben vor denen die später dazugekommen sind.

Das Recht der Früheren vor den später dazugekommenen. Z.B. Falsche Geschwisterreihenfolge Verstrickung der Geschwister. (Ich folge dir nach/Lieber ich als du/)

Gewissen und Bindungsgewissen und Schuld und Unschuld/ Gut und Böse

Als Gewissen bezeichnen wir, was wir in einer Gruppe wahrnehmen, wie wir uns verhalten müssen damit wir dazu gehören. Das sichert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Was gilt hier, damit ich dazu gehören darf und was muss ich tun und lassen damit ich meine  Zugehörigkeit nicht verliere. Z.B. Limbus Puerorum“ Bestrafung durch Ausschluss. Der Nicht-Ort zwischen Himmel und Hölle wo sich die ungetauften Kinder aufhalten sollen.

Schuld wenn sich die Mütter schuldig fühlen, wenn sie ein totes Kind empfangen haben.

Der Tod eines Kindes erfasst die einzelne Persönlichkeit und das gesamte soziale Umfeld<


Der Segen: In diesem Sinne weitergegeben:

Das Leben ist etwas, was die Eltern selbst bekommen haben und dann an ihre Kinder weitergeben. Das Wort „Segen“ hat natürlich auch eine religiöse Bedeutung. Ein Segenswunsch ist immer ein Geben von Leben. Deswegen steht es den Eltern zu, einen Segen zu geben. Es ist aber nicht ihr persönlicher Segen. Es ist der Segen innerhalb der „Großen Bewegung vom Leben“ das weit herkommt und durch die Eltern weiter fließt. Die Eltern stehen in dieser Bewegung und geben sie an ihre Kinder weiter.

Diese Darstellung soll einen Beitrag leisten, dass die Eltern und/oder Angehörige, ihre Selbstermächtigung nehmen und zu ihrer Liebe, ihrem ungesegneten Kind/ Person stehen zu dürfen.

Vielleicht kann es dadurch auch zu einer Freiheit/Unabhängigkeit kommen von einer Institution, deren Gesetze nicht immer dem „großen Ganzen“ dienen:

Als Zeugnis dafür:

Dass die Kinder gelebt, existiert haben;
Als Zeugnis für ihren Tod;
Als Zeugnis, das die Mütter und Väter, Eltern waren;
Dass sie nicht in Vergessenheit geraten…..

……aber v.a., dass sie ihren Platz einnehmen im Familiensystem.

Für mich als Zeugnis seiner Existenz: Dieses Foto der Schwangerschaft meiner Mutter mit meinem Bruder.

>Ich habe geboren und halte kein Kind in den Armen“<